Das Konsumverhalten der Menschen hat sich immer mehr vom örtlichen Einzelhandel auf die Nutzung von Internet-Angeboten verlagert. Dadurch kommt die klassische Innenstadtstruktur nun zunehmend von zwei Seiten unter Druck: Zum einen durch die dezentralen Einzelhandelsangebote auf der “grünen Wiese”, wie z. B. in Delmenhorst das Zurbrüggencenter oder die Outlet Stores in Stuhr / Brinkum, zum anderen durch den jährlich zweistellig wachsenden Onlinehandel. Dieser dringt inzwischen auch in Bereiche vor, die bisher eine Stärke der lokalen Nahversorger waren, z. B. bei Lebensmitteln oder Getränken. Es ist zu erwarten, dass sich diese Effekte auf die Innenstadtkaufleute durch die Coronakrise noch verstärken werden.
Es ist unserer Ansicht nach langfristig nicht damit zu rechnen, dass wir wieder eine Angebotsstruktur in der City bekommen werden, wie man sie aus den 1970er-Jahren kannte. Die großen Vollsortimenter wie z. B. Karstadt haben bundesweit Probleme, und die großen Ketten sehen Delmenhorst nicht als Top-Standort an. Dieses hängt mit der Größe der Stadt und ihrer Einkommensstruktur zusammen und lässt sich von der lokalen Politik kaum beeinflussen. Die heute zum großen Teil vertretenden Modeketten sind vom Angebot beliebig und heben unsere Innenstadt nicht von anderen Standorten ab.
Wollen wir also unsere renovierte Innenstadt wieder beleben und zu einem zentralen Anlaufpunkt für die Delmenhorster:innen und die Einwohner:innen des Umlands machen, so müssen wir hier die Struktur neu gestalten. Zu berücksichtigen ist, dass der Altersdurchschnitt der Bevölkerung in den nächsten 20 Jahren deutlich höher sein wird. Durch den digitalen Fortschritt andererseits haben die Menschen mehr Freizeit, aber nicht unbedingt mehr Einkommen. Daher müssen wir, wenn der Standort Delmenhorst attraktiv sein soll, eine hohe Aufenthaltsqualität anbieten. Binden wir hier die Kaufkraft, die in Delmenhorst vorhanden ist, können die Menschen es genießen, hier vor Ort mit Spaß einzukaufen, und wir stärken so die lokale Wirtschaft.
Von der “Shopping City” zur “Living City”
Die Innenstadt muss der ganz normale Treffpunkt für Veranstaltungen aller Art und für einen großen Teil der Freizeitaktivitäten werden. Außerdem werden durch den demografischen Wandel auch zentrale Wohnmöglichkeiten verstärkt nachgefragt. Der Fokus muss sich also vom Einkaufen auf das Leben in der City verlagern. Was nicht heißen soll, dass es keinen Einzelhandel mehr geben soll, allerdings wird hier zukünftig der Schwerpunkt auf einzelnen Geschäften mit Angeboten für spezielle Interessen liegen, wie es heute z. B. schon mit dem Gameground der Fall ist. Auszubauen ist das gastronomische Angebot mit Außenbewirtschaftung und das kulturelle Angebot, das in der City fußläufig erreichbar ist. Hierauf ist insbesondere bei der Nachnutzung des heute von der Hertie Immobilie belegten Grundstücks an der Langen Straße zu achten.
Zu diskutieren wären auch weitere flankierende Maßnahmen seitens der Stadt, so ist z. B. eine komplette oder teilweise Überdachung der Fußgängerzone denkbar, ferner sind erweiterte Ruhezonen mit Sitzmöglichkeiten und eine Einschränkung des Fahrzeugverkehrs in der Fußgängerzone zu prüfen. Um das Bild der Fußgängerzone weiter aufzulockern, werden wir uns für die weitere Begrünung der Langen Straße einsetzen. Unser Ziel ist es, ein breit gefächertes Freizeitangebot für alle Schichten der Bevölkerung Delmenhorsts und der Umgebung zu bieten und eine möglichst hohe Aufenthaltsdauer in der Innenstadt zu erreichen. Wir müssen erreichen, dass es für die Bürger:innen inner- und außerhalb von Delmenhorst einfach zur Gewohnheit wird, ihre Freizeit in unserer Innenstadt zu verbringen. Wir werden in den folgenden Jahren Mittel für die Förderung von Veranstaltungen in der Innenstadt in den Haushalt einstellen. Bei den Konzepten und Visionen, die sich entwickeln werden, wollen wir auf Genauigkeit, Qualität und Nachhaltigkeit achten, statt auf die reine Schnelligkeit der Umsetzung zu setzen und so durch reinen Aktionismus unzureichende Lösungen zu schaffen.
Angebote für das 21. Jahrhundert schaffen
Im Bereich der Vermarktung der klassischen Ladenflächen gilt es neue Gedanken aufzuzeigen. So könnte man den Onlinehandel mit dem lokalen Einzelhandel durch einen Click & Collect Store verbinden oder auch variable Flächen für kurzfristige, spezielle Pop-up-Stores einrichten. Ebenso gehen reine Online-Händler inzwischen dazu über, Demostores in den Innenstädten einzurichten, in denen sie Beratung für ihre Produkte anbieten, deren Bestellung und Lieferung aber über das Internet erfolgt. Eine weitere Möglichkeit wäre, in leer stehenden Geschäften Outletstores anzusiedeln, die das Angebot der City ergänzen würden. Hier gibt es sicherlich Potenzial für Delmenhorst.
Des Weiteren ist die Bahnhofstraße durch die integrierte Nachnutzung der Fläche des ehemaligen St. Josef Stifts besser an die City anzubinden. Wir wollen hier neue Achsen zur Innenstadt schaffen und so eine weitere interessante Möglichkeit zum Bummeln durch Stadt anbieten. Das Jute-Center gehört unserer Auffassung nach ebenfalls zur Innenstadt und muss Bestandteil eines ganzheitlichen Entwurfs werden.