Anfragen Beantwortet

Ver­ga­be­mo­da­li­tä­ten im sozia­len Bereich

Zusammenfassung

Bezüg­lich der in Zukunft anste­hen­den Ver­ga­ben im sozia­len Bereich, bean­tra­gen wir die exak­ten Geset­zes­vor­la­gen mit Benen­nung der in Fra­ge kom­men­den Para­gra­phen (EU-Ver­ga­be­recht, GWB, SGB), auf deren Basis eine euro­pa­wei­te Aus­schrei­bung sozia­ler Dienst­leis­tun­gen unab­ding­bar sind.

Anfra­ge der Del­men­hors­ter Lis­te zusam­men mit der FDP/UAD

Bezüg­lich der in Zukunft anste­hen­den Ver­ga­ben im sozia­len Bereich, bean­tra­gen wir die exak­ten Geset­zes­vor­la­gen mit Benen­nung der in Fra­ge kom­men­den Para­gra­phen (EU-Ver­ga­be­recht, GWB, SGB), auf deren Basis eine euro­pa­wei­te Aus­schrei­bung sozia­ler Dienst­leis­tun­gen unab­ding­bar sind.

Die­se Beant­wor­tung erbit­ten wir schrift­lich spä­tes­tens bis zum nächs­ten A2S.

Begrün­dung:

Unse­res Erach­tens ist es drin­gend erfor­der­lich für den Rat der Stadt Del­men­horst, die­se Infor­ma­tio­nen zu haben.

Abge­se­hen von dem ent­ste­hen­den Fami­li­en­zen­trum in der Frö­bel­schu­le, wird es in Zukunft wei­te­re sozia­le Pro­jek­te geben, wie Kin­der­ta­ges­stät­ten, Krip­pen, etc., deren Ver­ga­be gere­gelt wer­den muss.

Um den Rats­mit­glie­dern eine fun­dier­te Sicher­heit für ihre zu tref­fen­den Ent­schei­dun­gen zu geben, ist es drin­gend erfor­der­lich, die Rats­mit­glie­der mit ent­spre­chen­der Sach­kennt­nis auszustatten.

Zur Beant­wor­tung der Anfra­ge wird auch auf die Beschluss­vor­la­ge 20/45/001/BV‑R ver­wiesen. In die­ser Vor­la­ge wur­den eben­falls recht­li­che Hin­wei­se zu den Ausschreibungs­verpflichtungen bei sozia­len Dienst­leis­tun­gen (hier Kita-Trä­ger­schaf­ten) gege­ben. Zur Kennt­nis­nah­me ist der Anla­ge der Auf­satz „Ver­ga­be­recht im Kita-Bereich“ (Nie­der­säch­si­scher Städ­te­tag, NST‑N 2–2020, S. 8ff.) eben­falls beigefügt.

Ant­wort:

Die aktu­el­le Anfra­ge wur­de der Zen­tra­len Ver­ga­be­stel­le der Stadt Del­men­horst zur Stel­lung­nah­me vor­ge­legt. Die­se ant­wor­te­te wie folgt:

Dem Ver­ga­be­rechts­re­gime unter­fal­len­de öffent­li­che Auf­trä­ge zwi­schen öffent­li­chen Auftrag­gebern und Unter­neh­men über die Beschaf­fung von Leis­tun­gen set­zen in Ab­grenzung zu ver­ga­be­rechts­frei­en Zuwen­dungs­ver­hält­nis­sen die Begrün­dung einer ein­klagbaren Erfül­lungs­ver­pflich­tung des Auf­trag­neh­mers vor­aus. Fehlt es an einer für den öffent­li­chen Auf­trag erfor­der­li­chen Ver­pflich­tung zu einer Pri­mär­leis­tung, so liegt kein öffent­li­cher Auf­trag vor. Die vom Auf­trag­ge­ber gewünsch­te Leis­tung wäre dann nicht ein­klag­bar. Ein­klag­bar wäre ledig­lich, wenn der Zuwen­dungs­er­folg aus­bleibt, die Rück­for­de­rung der zuge­wand­ten Mittel.

Die Ver­ga­be öffent­li­cher Auf­trä­ge, deren geschätz­ter Auf­trags­wert die Schwel­len­wer­te erreicht oder über­schrei­tet, rich­tet sich nach dem 4. Teil des Geset­zes gegen Wettbe­werbs­beschränkungen (GWB). Die Stadt muss außer­dem die Grund­sät­ze der Wirt­schaftlichkeit und Spar­sam­keit beach­ten (§ 110 Abs. 2 NKomVG).

Seit der letz­ten Novel­le ist in § 130 GWB expli­zit die Ver­ga­be von öffent­li­chen Aufträ­gen über sozia­le Dienst­leis­tun­gen gere­gelt. Die zuwei­len (noch) ver­tre­te­ne Auf­fas­sung, sozia­le Dienst­leistungen unter­fie­len gene­rell nicht dem Ver­ga­be­recht, ist spä­tes­tens mit den für die Ver­ga­be von sozia­len Dienst­leis­tun­gen geschaf­fe­nen beson­de­ren Vor­schriften (s. § 130 GWB, §§ 64 bis 66 VgV) nicht mehr haltbar.

Daher sind der­ar­ti­ge sozia­le Dienst­leis­tun­gen, ins­be­son­de­re auch die Trä­ger­schaft von sozia­len Leis­tun­gen, grund­sätz­lich öffent­lich aus­zu­schrei­ben, wenn sie einen Beschaf­fungsvorgang im oben genann­ten Sin­ne darstellen.

Das Vor­lie­gen von beson­de­ren Umstän­den oder Aus­nah­men, um eine grund­sätz­lich aus­schrei­bungspflichtige Dienst­leis­tung nach Maß­ga­be des Ver­ga­be­rechts nicht aus­schreiben zu müs­sen, wird in jedem Ein­zel­fall vor­ab geprüft.

Das sog. Sub­si­dia­ri­täts­prin­zip im Jugend- und Sozi­al­be­reich führt indes — unab­hän­gig von sei­ner kon­kre­ten inhalt­li­chen Aus­ge­stal­tung — nicht zur Nicht­an­wen­dung des Ver­ga­be­rechts. Das Sub­si­dia­ri­täts­prin­zip wür­de ledig­lich zur Fol­ge haben, dass der öf­fentliche Trä­ger eine sozia­le Dienst­leis­tung nicht im Wege einer selbst durch­ge­führ­ten Beschaf­fung rea­li­siert, son­dern vor­han­de­ne Struk­tu­ren frei­er Trä­ger oder sons­ti­ger Drit­ter finan­zi­ell för­dert oder sonst unterstützt.

Das Sub­si­dia­ri­täts­prin­zip beinhal­tet bereits seit der Recht­spre­chung des Bundesverfas­sungs­gerichts Mit­te der 60er Jah­re (Urteil vom 18.07.1967 — 2 BvF 3/62 u.a.) zum Gesetz für Jugend­wohl­fahrt (JWG), dem Vor­gän­ger­ge­setz des Kin­der- und Jugendhil­fegesetzes (KJHG) und dem heu­ti­gen SGB VIII, weder eine Funk­ti­ons­sper­re noch einen Funk­ti­ons­schutz zu Guns­ten der frei­en Trä­ger und zu Las­ten der öffent­li­chen Trä­ger der Jugend­hil­fe. Die Gesamt­verantwortung für ein auf­ga­ben­ge­rech­tes Ange­bot mit den erfor­der­li­chen Einrich­tungen, Diens­ten und Ver­an­stal­tun­gen und damit eine plu­ra­le jugend­hil­fe­po­li­ti­sche Infra­struktur liegt in der Gesamt­ver­ant­wor­tung der Trä­ger der öffent­li­chen Jugend­hil­fe (BVerwG, Urteil vom 17.07.2009 — 5 C 25/08).

Die Jugend­hil­fe ist gekenn­zeich­net durch die Viel­falt von Trä­gern unter­schied­li­cher Wert­orientierungen und die Viel­falt von Inhal­ten, Metho­den und Arbeits­for­men. Im SGB VIII wur­de das Ver­ständ­nis von Sub­si­dia­ri­tät als „Grund­satz des hilf­rei­chen Bei­standes“ aufge­nommen. Aus­druck die­ses Ver­ständ­nis­ses sind die För­de­rung und Stär­kung von For­men der Selbst­hil­fe (§ 4 Abs. 3 SGB VIII), die Bevor­zu­gung von geeigne­ten Maß­nah­men, die stär­ker an den Inter­es­sen der Betrof­fe­nen ori­en­tiert sind. Die Betrof­fe­nen sol­len Ein­fluss auf die Maß­nah­men erhal­ten (§ 74 Abs. 4 SGB VIII) und ihre jewei­li­ge Finanz­kraft soll berück­sich­tigt wer­den (§ 74 Abs. 5 SGB VIII).

Bei zu tref­fen­den Ermes­sens­ent­schei­dung über Art und Höhe der För­de­rung ist regel­mäßig auch eine die­ser logisch vor­ge­la­ger­ten Aus­wahl­ent­schei­dung zu tref­fen, wel­che Maß­nah­men der Trä­ger der frei­en Jugend­hil­fe — nach Art und Umfang — zu för­dern sind (und mit den ver­füg­ba­ren Haus­halts­mit­teln geför­dert wer­den kön­nen), und zwar so­wohl bei gleich geeig­neten Maß­nah­men als auch in Bezug auf die wei­te­ren Maßnah­men, die dem Grun­de nach för­de­rungs­fä­hig sind. Bei die­ser Aus­wahl­ent­schei­dung steht dem Trä­ger der öffent­li­chen Jugend­hil­fe hin­sicht­lich der Not­wen­dig­keit ein­zel­ner Maß­nah­men dem Grun­de nach sowie der För­de­rungs­wür­dig­keit ein­zel­ner Ele­men­te ihrer Aus­ge­stal­tung nach Art und Umfang (z.B. Öff­nungs­zei­ten; Betreu­ungs­dich­te) ein wei­ter Beur­tei­lungs­spiel­raum zu. Dies folgt aus der Gesamt­ver­ant­wor­tung des öffent­lichen Trä­gers für die Erfül­lung der Auf­ga­ben nach dem SGB VIII ein­schließ­lich der Planungsverantwortung.

Soweit das Sub­si­dia­ri­täts­prin­zip anzu­wen­den ist, muss also auch ermit­telt wer­den, ob für die Erbrin­gung der Leis­tung aus beson­de­rem Grun­de nur ein ein­zel­ner oder ob meh­re­re geeig­nete Trä­ger für die Auf­ga­ben­er­le­di­gung in Fra­ge kom­men. Zusätz­lich wird geprüft, ob es hin­sicht­lich der Eig­nung der vor­han­de­nen geeig­ne­ten Trä­ger ggf. aus sach­li­chen Grün­den Unter­schie­de gibt, die zu berück­sich­ti­gen sind. Soweit meh­rere Trä­ger mit gleich­wer­ti­ger Eig­nung zur Ver­fü­gung ste­hen, ist unter Beach­tung der Wett­be­werbs­grund­sät­ze (u.a. Gleich­behandlung, Trans­pa­renz, Wett­be­werb) festzule­gen, wie eine Aus­wahl des zu beauftra­genden Trä­gers erfol­gen kann. Pro­ble­ma­tisch ist in die­sem Zusam­men­hang auch der konkre­te Kreis der zu berück­sich­ti­gen­den an­erkannten Trä­ger der frei­en Wohl­fahrts­pfle­ge. Die­ser bezieht sich unter Beach­tung wett­be­werbs­recht­li­cher Grund­sät­ze regel­mä­ßig nicht nur auf die bereits vor Ort täti­gen Trä­ger der frei­en Wohl­fahrts­ver­bän­de, son­dern dar­über hin­aus auch auf exter­ne an­erkannte Trä­ger. In der Sache ergibt sich daher auch in Fäl­len, in denen das Subsidi­aritätsprinzip gilt, die Not­wen­dig­keit, ein geeig­ne­tes Ver­fah­ren auf brei­ter Basis zur Aus­wahl des zu beauf­tra­gen­den Trä­gers durch­zu­füh­ren. Unter Beach­tung aller Ge­sichts­punkte und ins­be­son­de­re aus Grün­den der Rechts­si­cher­heit sowie der Vermei­dung von Ersatz­an­sprü­chen bie­tet es sich auch hier an, ein Ver­ga­be­ver­fah­ren nach dem GWB durch­zuführen, auch wenn es sich nicht um einen Beschaf­fungs­vor­gang, son­dern nur um eine finan­zi­el­le För­de­rung handelt.

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