Menschlichkeit braucht Unterstützung – Armut ist gesellschaftliche Realität
In den 50er Jahren wurde in Deutschland die sogenannte Sozialhilfe eingeführt. Die staatliche soziale Mindestsicherung war bis dato einzigartig und diente dem Ziel, Armut in Deutschland gänzlich abzuschaffen. Die soziale Grundsicherung, so war es die damalige Überzeugung, würde sich mit der Zeit von selbst abschaffen, da die Nachwirkungen des Krieges mit den kommenden Generationen ebenso wie die Armut aus der Gesellschaft verschwinden würden. Dieses grundlegende Missverständnis hat bis heute enorme Konsequenzen für die gesellschaftliche Wahrnehmung von Armut und für den Umgang mit von Armut Betroffenen.
Wer hierzulande arm ist, dem fehlt nicht nur Einkommen und die Möglichkeit, Vermögen anzusparen. Armut definiert sich vor allem in der Beschränkung gesellschaftlicher Teilhabe: Kein Restaurantbesuch, keine Urlaubspläne, beengte Wohnverhältnisse und weder Platz noch Geld, Freunde zu sich nach Hause einzuladen, eingeschränkte Bildungschancen für Kinder, mangelnde Möglichkeiten, sich gesund zu ernähren. Menschen, die arm sind, müssen jeden Cent dreimal umdrehen und sind nahezu täglich damit konfrontiert, was sie sich alles NICHT leisten können. Neben den materiellen Defiziten, werden arme Menschen auch mit gesellschaftlich-sozialer Aberkennung konfrontiert: Der Volksmund bezeichnet arme Menschen hierzulande selten als „vollwertiges“ Mitglied unserer Gesellschaft, ungeachtet der Tatsache, dass sich beispielsweise viele Arbeitslose ehrenamtlich engagieren.
Wir alle wissen zwar, dass Schicksalsschläge oder gesellschaftliche Herausforderungen, wie jüngst die Corona-Pandemie oder dem Klimawandel geschuldeten Hochwasser schnell dazu führen können, dass nahezu jeder in den Teufelskreis von Armut geraten kann, trotzdem hält sich das Vorurteil, dass Armut bloß „selbst verschuldet“ ist, hartnäckig. Wer arm ist, ist gescheitert, der muss sich schämen und tut es oft auch!
Möchten wir Armut tatsächlich bekämpfen, brauchen wir eine umfassende und langfristige soziale, gesellschaftliche und infrastrukturelle Strategie getragen durch einen parteiübergreifenden, politischen Willen. Eine gute, kostenlose Bildung und berufliche Ausbildung gehören ebenso zu dieser Strategie wie die Anerkennung von Ehrenamt und die Sicherung gesellschaftlicher Teilhabe.
„Kauf eins mehr!“ haben wir ins Leben gerufen, um auf der einen Seite Institutionen wie die Delmenhorster Tafel zu unterstützen und auf der anderen Seite Menschen für das Thema Armut in unserer Gesellschaft zu sensibilisieren. Sehr oft haben unsere Aktiven bei der Spendensammlung von Spendern gehört, dass die oft umfangreichen Spenden auf dem Kassenbon „gar nicht auffallen würden“ oder „wenn jeder eine Packung Nudeln spendet ist vielen geholfen.“. Menschlichkeit braucht die Unterstützung und die Kraft von uns allen.
Die nächste Sammelaktion findet am 7. August von 10 bis 13 Uhr beim Inkoop Verbrauchermarkt in der Oldenburger Straße statt.
Warum wird zum Beispiel nicht ein einheitliches Kindergeld gezahlt? Menschen mit höheren Einkommen erhalten durch die Steuerersparnis mittels Kinderfreibetag deutlich mehr staatliche Förderung als Geringverdiener. Dass im Bereich der Sozialleistungen Kindergeld sogar als Einnahme behandelt wird und zur Leistungskürzung führen kann, mag auch kontrovers betrachtet werden.